Leben retten mit raucharmen und halogenfreien Kabeln (LSZH-Kabel)
Zur Verfügung gestellt von Nordamerikanische Fachredakteure von DigiKey
2018-07-18
Immer häufiger kommen raucharme und halogenfreie LSZH-Elektrokabel zum Einsatz, deren Außenmantel aus Materialien besteht, die mehr Sicherheit bieten, wenn sie Feuer ausgesetzt sind. Wie der Name schon sagt, produzieren sie im Gegensatz zu herkömmlichen Materialien wie Polyvinylchlorid (PVC) und Fluorethylenpropylen (FEP) weniger dichten Rauch und annähernd keine hoch toxischen Gase, sogenannte Halogene.
Es mag logisch erscheinen, dass Entwickler immer solche Kabel verwenden sollten, aber ganz so einfach ist es dann doch nicht. Elektroingenieure müssen genau wissen, für welche Anwendungsbereiche LSZH-Kabel geeignet sind und wie man das passende Kabel auswählt und verwendet.
LSZH-Kabel eignen sich nicht für jede Anwendung
Man darf nicht vergessen, dass LSZH-Kabel, obwohl Kabel aus halogenierten Verbindungen wie PVC und FEP als eine Gefahr im Falle eines Brands herausgegriffen wurden, keineswegs eine Universallösung darstellen, um diese Kabel zu ersetzen. Das hat folgende Gründe. Erstens verfügen Kabel auf PVC- und FEP-Basis über Vorteile, die keinesfalls außer Acht gelassen werden dürfen. Außerdem würde es im Freien, wo sich Rauch und Gase rasch verflüchtigen können, kaum einen Vorteil bringen, wenn man sie durch LSZH-Kabel ersetzen würde. Des Weiteren stellen Elektrokabel im Falle eines Brands selten die einzige Kunststoffquelle dar und da Kabel auf PVC- und FEP-Basis feuerbeständig sind, tragen sie verhältnismäßig wenig zu einem Brand bei.
Kabel auf PVC- und FEP-Basis sind überdies günstiger als LSZH-Kabel, bieten eine ausgezeichnete elektrische Performance, sind allgemein verfügbar und bieten sowohl unter trockenen als auch feuchten Umgebungsbedingungen sehr gute elektrische Eigenschaften. Sie sind äußerst flexibel, haben eine lange Lebensdauer, sind beständig gegenüber Temperaturextremen und Chemikalien und extrem robust. Kurz gesagt: LSZH-Kabel eignen sich am besten für Szenarien, in denen herkömmliche Kabel eine Gefahr darstellen könnten. Sie sind nicht dazu gedacht, herkömmliche Kabel in allen Anwendung zu ersetzen.
Das Aufkommen der LSZH-Kabel
Die Brand- und Flammeneigenschaften von PVC und FEP in Kabelummantelungen, Dielektrika und anderen Komponenten sind seit den 1970er Jahren bekannt und seit etwa 1980 kommen in militärischen und nuklearen Systemen alternative Materialien zum Einsatz. Der Brand in der Kings Cross Station in London im Jahr 1987 jedoch, bei dem über 30 Menschen ums Leben kamen und 100 weitere verletzt wurden, erregte weltweites Aufsehen (Abbildung 1).

Abbildung 1: Eine Untersuchung des Brands in der Kings Cross Station der Londoner U-Bahn ergab, dass durch das Verbrennen großer Mengen von Elektrokabeln dichter, schwarzer Rauch und toxische Gase entstanden, die den Menschen eine Flucht extrem erschwerte. (Bildquelle: Wikipedia)
Die Folgeuntersuchung deckte auf, dass ein Streichholz, das auf einer Rolltreppe fallen gelassen wurde, der Auslöser für den Brand war, der sich aufgrund mehrerer Faktoren ausbreiten konnte und so zur tödlichen Gefahr wurde. Einer dieser Faktoren war das Vorhandensein großer Mengen von Elektrokabeln, die beim Verbrennen dichten, schwarzen Rauch und toxische Gase verursachten, wodurch es für die Menschen extrem schwer war, der Gefahr zu entkommen. Diese Untersuchung gab den Anstoß zur Entwicklung von Kabeln, die im Falle eines Brands kein derartig hohes Gefahrenpotenzial bergen.
Das Ergebnis war das Verbot von PVC-Kabeln in der Londoner U-Bahn und andere Mitgliedsstaaten der Europäischen Union begannen kurz danach in großem Umfang mit der Verwendung von LSZH-Kabeln. In den USA dauerte es aus diversen Gründen – unter anderem spielten Kosten, widersprüchliche Normen und Uneinigkeit über die Anwendungsbereiche eine Rolle – wesentlich länger, bis solche Kabel Verwendung fanden. Diese Probleme werden langsam aus der Welt geschafft und Kabel auf PVC- und FEP-Basis werden in Anwendungen, die davon am offensichtlichsten profitieren, ersetzt.
Unterschiede bei LSZH-Kabeln
Im Gegensatz zu PVC werden für die Außenmäntel von LSZH-Kabeln thermoplastische Materialien verwendet, die keine Halogene oder ätzenden Säuren freisetzen, die wenig oder keinen Rauch verursachen und die die Brandfortleitung erheblich verringern. Alle diese Punkte ermöglichen die einfachere Flucht aus dem Brandbereich und erleichtern die ohnehin schon gefährliche Arbeit der Feuerwehr. LSZH-Verbindungen basierten üblicherweise auf Polyolefin und waren mit hydratisierten Mineralien dotiert, wodurch der Rauch weiß und weniger dicht ist.
In den darauffolgenden Jahren wurden LSZH-Kabel sowie andere Verbindungen verfügbar, die noch bessere Ergebnisse lieferten und dabei die erforderliche elektrische Leistungsfähigkeit des Kabels nicht beeinträchtigten. Polymer-Materialien, die von Natur aus nicht flammhemmend sind, sind mit Additiven wie beispielsweise anorganischen Hydraten (Aluminium- oder Magnesiumhydroxid) dotiert, die zur Optimierung der Flammhemmung beitragen. Diese starke Dotierung führt üblicherweise zu einer Verschlechterung einiger physikalischer Eigenschaften. Die Kabelbranche entwickelte daher Methoden zur Reduzierung oder Eliminierung ihrer Auswirkungen, indem verschiedene Verbindungen verwendet wurden.
Verwirrende Anforderungen
Für die Entwickler bleibt die Lage auch weiterhin unübersichtlich, da es unterschiedliche Ansichten darüber gibt, wo diese Kabel zum Einsatz kommen sollten. Es gibt nicht „die eine Norm“ oder ein Normenwerk, die bzw. das für fundierte Entscheidungen herangezogen werden könnte. Außerdem ist es nicht einfach, LSZH-Kabel von unterschiedlichen Herstellern exakt voneinander zu unterscheiden. So kam es, dass zahlreiche Abkürzungen eingeführt wurden, die über die Jahre zur Beschreibung von Elektrokabeln verwendet wurden, die im Brandfall einen in irgendeiner Form „besseren“ Schutz bieten (Tabelle 1).
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Tabelle 1: Mangelnde Kohärenz sorgt für Chaos: einige der zahlreichen Bezeichnungen für „feuersichere“ Kabel (Datenquelle: Wikipedia, Anixter, Inc.)
Weitere Beispiele sind das US-Verteidigungsministerium, eine der ersten Behörden, die den Halogengehalt im Militärstandard MIL-C-24643 zum Thema machte und die einen „niedrigen“ Halogengehalt mit weniger als 0,2 Gewichtsprozent definiert. Andere Normen beziehen sich auf die Menge des produzierten sauren Gases, nicht aber auf den Halogengehalt.
Da es Elektrokabel betrifft, die in Kabelschächten verlegt werden, liegt das Hauptproblem darin, dass sich die produzierten toxischen und korrosiven Produkte im gesamten Gebäude verteilen können. Der National Electrical Code (NEC) schreibt vor, dass in Kabelschächten verwendete Kabel als „raucharm“ klassifiziert sein müssen, obwohl es selbst hierüber Diskussionen gibt, da Kabelschächte in der Regel eine geringere Brennstoffbelastung aufweisen und die Exposition gegenüber Zündquellen nicht so hoch ist. Die National Fire Protection Association (NFPA) hält sich an den Standard NFPA 262, der in Luftschächten geführte Kabel betrifft.
Glücklicherweise nahmen sich die Underwriters Laboratories (UL) 2015 der Einstufung bezüglich geringer Rauchentwicklung und Halogenfreiheit an und bieten inzwischen Zertifizierungsprogramme für halogenfreie (HF) und LSZH-Kabel basierend auf den Normenreihen IEC 62821 und IEC 60754 an. IEC 62821 deckt die Anforderungen für halogenfreie, raucharme, thermoplastisch isolierte und ummantelte Kabel mit Nennspannungen bis zu 750 Volt ab. Die HF- und LZSH-Kennzeichnungen von UL können auf vielen verschiedenen Draht- und Kabeltypen verwendet werden, von der Geräteverdrahtung über Kommunikationskabel (einschließlich Glasfaser) bis hin zu flexiblen sowie Strom- und Steuerungskabeln.
Alle UL-zertifizierten HF- und LZSH-Kabel erfüllen auch weitere allgemeine UL-Zertifizierungsanforderungen. Die UL haben außerdem ihr Komponentenerkennungsprogramm im Rahmen von UL 2885 erweitert, um die Bewertung von Halogenen aufzunehmen. Dies sollte eine Hilfe für Hersteller von Verbindungen für Isolierungen und Ummantelungen sowie von anderen Kabelkomponenten wie Füllstoffen, Bändern und Bewicklungen sein.
Sinnvolle Verwendung von LSZH-Kabeln
Die Entscheidung, ob LSZH-Kabel verwendet werden sollten, fällt nicht leicht. Das gilt insbesondere dann, wenn man gewissenhaft genug ist, sich eingehender mit Normen, Gehäusebezeichnungen und den zahlreichen Dokumenten auseinanderzusetzen, die diese Thematik behandeln. Glücklicherweise ist häufig offensichtlich, wann der von LSZH-Kabeln gebotene Schutz erforderlich ist. Im Allgemeinen sollten LSZH-Kabel für Bereiche in Erwägung gezogen werden, an denen viele Kabel auf engem Raum und mit geringem Abstand zueinander verlaufen, die schlecht evakuiert werden können, die unzureichend durchlüftet sind und in denen mit hohen Spannungen gearbeitet wird.
Gute Beispiele hierfür sind Anwendungsbereiche wie Überwasserschiffe und U-Boote, in denen diese Kabel zuerst zum Einsatz gekommen sind und bei denen eine Flucht im Fall eines Brands schwierig und manchmal sogar unmöglich ist. Weitere Beispiele sind Nuklearanlagen, in denen dichter Rauch und toxische, korrosive Gase katastrophale Folgen haben könnten.
Weitere Anwendungsbereiche sind Verkehrsflugzeuge, Bahnhöfe, verschiedene Flughafenbereiche, Vermittlungszentralen in der Telekommunikation, Tunnel, Theater und Nachtclubs (Abbildung 2). Dieses Modell zeigt den Nachtclub „The Station“ in Warwick, R. I., in dem sich 2003 eine Brandkatastrophe ereignete, bei der 100 Menschen ums Leben kamen und 230 weitere verletzt wurden.

Abbildung 2: Dieses Modell des Nachtclubs „The Station“ zeigt, dass es trotz diverser Fluchtwege Bereiche gab, aus denen ein Entkommen extrem schwierig wäre, insbesondere für Hunderte von Menschen in Panik. (Bildquelle: National Bureau of Standards and Technology)
Trotz diverser Fluchtwege gab es Bereiche, aus denen ein Entkommen extrem schwierig wäre, insbesondere für Hunderte von Menschen in Panik. Die Evakuationszeit ist entscheidend, da sich sehr schnell giftige Dämpfe gebildet hätten, wie am Modell gemessen wurde (Abbildung 3).

Abbildung 3: Gaskonzentrationen an einem zentralen Punkt des Nachtclubs (zwischen Küche und Tanzfläche) in den ersten 200 Sekunden nach Brandbeginn (t = 0). Die Sonde wurde 1,5 Meter über dem Boden platziert. (Bildquelle: National Bureau of Standards and Technology)
Zu den neuesten Anwendungsbereichen zählen Rechenzentren, deren Anzahl erheblich gestiegen ist. Sie beherbergen Unmengen an Kabeln sowie eine riesige Kühlungsinfrastruktur, in der Flammen und Rauch sich rasch ausbreiten können. Angesichts dessen mag es verwundern, dass die Verwendung von LSZH-Kabeln in Rechenzentren nicht generell vorgeschrieben ist, obwohl sie immer häufiger zum Einsatz kommen.
Neben den offensichtlichen Gründen kann es Faktoren geben, die eine Verwendung von LSZH-Kabeln untermauern oder aber dagegen sprechen. Eine der wichtigsten Überlegungen bei Neubauten ist die Brennstoffbelastung durch die Baumaterialien, für die Kenntnisse über die verwendeten Materialien und eine Bewertung des Gesamtumfelds erforderlich sind. Leider ist dies für bestehende Gebäude häufig unmöglich, da Informationen über die beim Bau verwendeten Materialien nur schwer und manchmal überhaupt nicht zu beschaffen sind.
Leistung und Kosten
Früher waren LSZH-Kabel ihren traditionellen Gegenstücken bei elektrischer und mechanischer Leistung unterlegen. Heutzutage ist das jedoch weit weniger zutreffend. Kabelhersteller haben ihre LSZH-Produkte kontinuierlich verbessert, sodass sie nunmehr die Flammwidrigkeit von PVC- und FEP-Materialien bieten, ohne Flexibilität, Biegeradius, Leistungsfähigkeit bei kalten Temperaturen und elektrische Leistungsfähigkeit zu verringern.
LSZH-Kabel sind in der Regel noch immer teurer, da für ihre Herstellung zusätzliche Schritte und mehr Zeit erforderlich sind. Die Kosten könnten jedoch sinken, da der US-Markt für LSZH-Kabel wächst. Für kalte Umgebungen waren LSZH-Kabel noch nie besonders gut geeignet, da Additive generell – und insbesondere bei sehr niedrigen Temperaturen – dazu tendieren, die Flexibilität zu verringern Einige der neuesten LSZH-Kabel mindern dieses Problem jedoch durch proprietäre Techniken.
Auswahl des „richtigen“ LSZH-Kabels
Die Vielfalt an Regeln, Codes und unterschiedlichen Regelungen und Normen erschwert es Kabelherstellern, angemessen zu definieren, ob ihre Kabel über eine LSZH-Einstufung verfügen oder nicht. Manche Datenblätter, die diese Anforderungen ansonsten zu erfüllen scheinen, geben dies überraschend oft nicht an. Stattdessen enthalten sie lediglich Informationen zum Kabelaufbau (primär zum Außenmantel), ohne dabei das dielektrische Material zu erwähnen.
Ein gutes Beispiel für Datenblätter, die explizit auf die LSZH-Attribute hinweisen, sind die einer Familie von Mehrleiterkabeln von Alpha Wire, die alle Kabel vom Zweileiterkabel 1172L SL005 bis hin zum Kabel 6017L SL005 mit 24 Leitern umfasst (Abbildung 4). In diesen Datenblättern sind die LSZH-Einstufung und die Prüfungen, denen die Kabel genügen, deutlich angegeben, inklusive IEC 60332-1 für Entzündbarkeit, EC 60754-1 und 60754-2 für die Erzeugung saurer Gase und IEC 61034-2 für die Rauchentwicklung.

Abbildung 4: Die Datenblätter für das Zweileiterkabel 1172L SL005 (links) und das Kabel 6017L SL005 mit 24 Leitern (rechts) von Alpha Wire vermeiden Verwirrung, indem klar angegeben ist, dass die Kabel über eine LSZH-Einstufung verfügen und welchen Prüfungen sie genügen. (Bildquelle: Alpha Wire)
Andere Hersteller geben die LSZH-Eigenschaften auf ähnliche Weise an, wohingegen andere diese Merkmale in den Tiefen ihrer Datenblätter verbergen. Dies wird sich jedoch vermutlich ändern, wenn sie von mehr Ingenieuren angegeben werden. Wenn ein Kabel geeignet erscheint, aber seine Brandkenngrößen nicht eindeutig angegeben sind, ist es für eine endgültige Entscheidung immer noch am besten, sich an den Hersteller zu wenden. Das Unternehmen kann unter Umständen auch kundenspezifische Versionen mit einigen oder allen Attributen für überlegene Leistung im Falle eines Brands anfertigen. Des Weiteren ist es wichtig, die LSZH-Kabel mehrerer Hersteller zu vergleichen, Kandidaten mit zufriedenstellendem Brandverhalten auszuwählen und diese dann hinsichtlich Flexibilität, Temperaturbereich, Biegeradius, Lebensdauer und anderen wichtigen Kennzahlen zu vergleichen. Das „Gewinnerkabel“ sollte einerseits über ein ausgezeichnetes Brandverhalten verfügen und sich andererseits möglichst wenig von einem PVC-Kabel unterscheiden.
Fazit
Es ist nicht weiter verwunderlich, dass LSZH-Kabel erst jetzt größere Verbreitung finden, obwohl sie schon seit Jahrzehnten verfügbar sind. Sie wurden von keiner Allianz oder anderweitigen Organisation gefördert, es gab keine übereinstimmende Meinung hinsichtlich geeigneter Anwendungsbereiche und es herrschte noch nicht einmal Einigkeit darin, wie Kabelhersteller sie auf einer Website oder in einem Datenblatt beschreiben sollten. Dies ändert sich jedoch glücklicherweise gerade dank der Entscheidung der UL, LSZH und LSF in ihr Zertifizierungstestprogramm aufzunehmen. Hoffentlich braucht es kein weiteres großes tödliches Feuer, um diese Dynamik aufrechtzuerhalten.
In der Zwischenzeit müssen Entwickler und Elektrotechniker ihre LSZH-Kabel aus verschiedenen Standardlösungen auswählen und können die LSZH-Konformität zu verschiedenen Normen für kundenspezifische Anwendungen nach Bedarf festlegen.
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